Folgekomplikation mit oft schlechter Prognose
Unter den diabetischen Folgekomplikationen nimmt das Diabetische Fusssyndrom (DFS) – umgangssprachlich auch „diabetischer Fuss“ genannt – eine herausragende Stellung ein. Nach Angaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) liegt die jährliche Neuerkrankungsrate für ein DFS bei ca. 2 %. Ähnlich in der Schweiz - jede 4. Person mit langjährigem Diabetes erleidet im Laufe des Lebens ein diabetisches Fusssyndrom. In der Schweiz leiden fast 500’000 Menschen an Diabetes. [1]
Die Wahrscheinlichkeit eines DFS für die gesamte Lebensdauer eines Menschen mit Diabetes mellitus beträgt 19 bis 34 %. [1] Und obwohl eine aktuelle landesweite Studie einen Rückgang von Major- und Minoramputationen in der diabetischen verglichen mit der nichtdiabetischen Population erkennen lässt, werden auch heute noch 65 bis 70 % aller Amputationen bei Patienten mit Diabetes mellitus durchgeführt. [1]
Kausalfaktoren für die Entstehung diabetischer Fussläsionen sind das Vorliegen einer diabetischen (Poly-)Neuropathie und / oder einer peripheren arteriellen Durchblutungsstörung (PAVK) auf dem Boden einer diabetischen Makroangiopathie. Obwohl statistische Erhebungen differieren, kann von folgender Verteilung der DFS-Formen ausgegangen werden: In ca. 40 % der Fälle ist allein eine diabetische Neuropathie die Ursache, bei weiteren 50 % handelt es sich um eine Mischform aus Neuropathie und einer PAVK-bedingten Ischämie. [1] Etwa 10 % sind auf eine isolierte periphere Durchblutungsstörung zurückzuführen.
Neuropathische Ulzera
Die diabetische Neuropathie, charakterisiert als eine zunehmende Glykolisierung („Verzuckerung“) der Nervenzellen und konsekutive Schädigung des Nervengewebes, erfasst autonome, sensorische und motorische Fasern gleichermassen. Klinisch führen diese Schädigungen allein oder gemeinsam zu den typischen Veränderungen am Fuss des Diabetikers: Es kommt zu Funktionsverlusten der Fussmuskeln mit Schädigungen der Knochen, wobei sich das Fussgewölbe bis in das Sprunggelenk hinein verändern kann. Die Folgen davon sind:
- Störungen der Bewegungsabläufe und Fehlstellungen der Zehen
- Unnatürliche Druckverteilung beim Stehen und Gehen mit Überlastung einzelner Stellen
- Häufig verstärkt durch nicht physiologisch geformtes Schuhwerk (zu hohe Absätze, schlecht passende Schuhe usw.)
Es bilden sich Schwielen (Hyperkeratosen) und Blasen, die sich infizieren und zur typischen Wunde des neuropathischen Fusses, dem „Malum perforans pedis“ (auch „Mal perforant“) entwickeln. Die am häufigsten betroffene Stelle ist die Fusssohle im Bereich der Zehengrundgelenke, weil hier beim Gehen eine hohe Druckbelastung entsteht.

Die Entstehung eines Malum perforans pedis („Mal perforant“): (1) Erhöhte Druck- und Scherkräfte durch veränderte Fussstatik und -motorik (2) führen zu Hyperkeratosen und Kallusbildung, (3) Rissen, Einblutungen, Hämatomen und bakterieller Besiedelung (4) und schliesslich zu einem infizierten Defekt, dem „Mal perforant“.
Weitere Auslöser können sein:
- Thermische Traumen (z.B. durch zu heisse Fussbäder oder Heizkissen)
- Bagatellverletzungen (z.B. durch Barfusslaufen, eingewachsene Zehennägel)
Erste Anzeichen neuropathischer Störungen in den Beinen sind
- Hauttemperatur warm
- Hautbild trocken, rissig
- Brennen und Kribbeln
- Taubheitsgefühl
- Ggf. Schmerzen in Ruhe, insbesondere nachts
- Jedoch kaum Schmerzempfindungen bei Verletzungen
Das verminderte Schmerzempfinden zieht oft eine riskante zeitliche Verschleppung bei der Behandlung nach sich. Denn bei der sich weiter ausbreitenden Infektion kommt es nicht selten zur Entzündung der Knochen (Osteomyelitis), die bis zum völligen Zusammenbruch des Fussskelettes führen kann. Es entsteht der sogenannte Charcot-Fuss oder es entwickeln sich tiefe Entzündungen des Fussgewebes (Fussphlegmone), die die Blutzirkulation in den Zehen gefährden. Am Ende dieser unheilvollen Entwicklung kann eine diabetische Gangrän drohen.
(Neuro-) Ischämische Ulzera
Die PAVK der Beinarterien als Kausalfaktor ischämischer Ulzera ist nicht diabetesspezifisch. Dennoch ist aufgrund der diabetischen Makroangiopathie das Risiko für Diabetiker, frühzeitiger und häufiger als Stoffwechselgesunde Herzinfarkte, Schlaganfälle und Verschlüsse in den Beinarterien zu erleiden, um ein Vielfaches erhöht.
Zur Risikoentwicklung tragen neben dem Diabetes mellitus aber auch die bekannten Risikofaktoren wie Bluthochdruck (Hypertonie), Übergewicht (Adipositas), Rauchen, zu viel Alkohol und Störungen des Fettstoffwechsels (Hyperlipidämie) bei.
Verschlüsse in den Beinarterien im Ober- und Unterschenkelbereich (PAVK) können durch die damit verbundenen schweren Durchblutungsstörungen (Ischämien) zu rein ischämischen Ulzera führen, die allerdings selten sind.
In etwa 50 % der Fälle ist eine Neuropathie an der ischämischen Ulkusentwicklung beteiligt und wird daher als neuroischämisches Ulkus bezeichnet. Diese Mischform kann bereits bei ihrer Erkennung grosse Probleme aufwerfen. Denn die typischen Symptome des angiopathischen bzw. neuropathischen Fusses überlagern sich in diesem Fall entsprechend ihrer unterschiedlichen Genese und sind durch ausführliche Anamnese, Erhebung des arteriellen Status usw. zu stützen.
Noch bevor es zum Ulkus kommt, können bei der Fussinspektion erste Anzeichen für die immer stärker werdende Durchblutungsstörung auffallen:
- In ihrem Wachstum gestörte Nägel
- Pilzinfektionen
- Rötungen und Marmorierungen der Haut
- Sowie ein Verlust der Beinbehaarung
Infolge der PAVK sind ausserdem in ihrer Stärke zunehmende Muskelschmerzen beim Gehen charakteristisch, die infolge der Sauerstoffnot durch die Durchblutungsstörungen auftreten (Claudicatio intermittens, auch als „Schaufenster-Krankheit“ bezeichnet).
Prädilektionsstellen der (neuro-) ischämischen Ulzera sind:
- Endphalangen der Zehen
- Nägel und Nagelbett
- Köpfchen der Metatarsale I und II
Nekrosen infolge schwerster Durchblutungsinsuffizienz sind meist lokalisiert
- Am lateralen Fussrand
- An der Ferse
- Im Interdigitalraum
- An den Streckseiten der Unterschenkel
Mit zur Entstehung der Ulzera tragen nicht selten traumatische Ereignisse bei, beispielsweise
- Druckeinwirkung durch Schuhe
- Unsachgemässe Pediküren
- Sonstige Bagatellverletzungen der Zehen, z. B. durch Barfusslaufen

Diagnostik und Klassifikation des DFS
Vor Einleitung der Therapie ist aufgrund der Polyätiologie des DFS eine sorgfältige Diagnostik notwendig. Sie umfasst eine gründliche Anamnese, die klinische Untersuchung mit Inspektion und Pulspalpation, die durch apparative Untersuchungen zur Erhebung des Gefässstatus unterstützt wird, sowie die Erhebung entsprechender laborchemischer und rheologischer Parameter. [2]

Einfache diagnostische Massnahmen wie die Prüfung des Vibrationsempfindens [1] und die Erhebung des Köchel-Arm-Druck-Index (KADI bzw. ABPI) bzw. Zehen-Arm-Index [2] geben erste Hinweise auf eine Neuropathie und / oder eine PAVK. Aber auch Pilzinfektionen, Rötung und Marmorierung der Haut sind Anzeichen für Durchblutungsstörungen [3].
Für Details zur Anamnese und Fussuntersuchung, aber auch zu Therapieempfehlungen wird auf interdisziplinäre Leitlinien verwiesen, wie insbesondere die Nationale Versorgungsleitlinie zum diabetischen Fuss oder die Vorgaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). [3]
Zur Therapieplanung und Prognoseabschätzung ist eine präzise Beschreibung und Klassifizierung der unterschiedlichen Läsionstypen unverzichtbar. Das Ausmass der Läsion (Grading) wird dabei nach Wagner, die Pathophysiologie (Staging) nach Armstrong beurteilt. [3]

Klassifikation diabetischer Fussläsionen nach Wagner
Grad 0: keine Läsion, ggf. Fussdeformation oder Cellulitis
Grad 1: oberflächliche Ulzeration
Grad 2: tiefes Ulkus bis zur Gelenkkapsel, zu Sehnen oder Knochen
Grad 3: tiefes Ulkus mit Abszedierung, Osteomyelitis, Infektion der Gelenkkapsel
Grad 4: begrenzte Nekrose im Vorfuss- oder Fersenbereich
Grad 5: Nekrose des gesamten Fusses
Armstrong-Klassifikation als Ergänzung
A keine Infektion, keine Ischämie
B Infektion
C Ischämie
D Infektion und Ischämie
Beispiel für Wagner-Armstrong Stadium 2C: Ulkus reicht bis auf die Gelenkkapsel, es liegt zusätzlich eine Durchblutungsstörung vor, aber es sind keine Infektionszeichen vorhanden.
Die Klassifizierung des DFS dient aber nicht zuletzt auch dazu, bei der erforderlichen interdisziplinären Behandlung eine eindeutige Kommunikation zwischen den verschiedenen Mitgliedern eines Behandlungsteams sicherzustellen.
Allgemeine Hinweise zur Therapie
Die Hauptgefahren beim DFS sind fortschreitende Infektion mit Sepsis, Phlegmone und Majoramputation. Ziele einer interdisziplinären Therapie des DFS sind die arterielle Revaskularisation, Infektionskontrolle, Ulkusabheilung, Vermeidung von Majoramputationen, Schmerzbeseitigung, Wiederherstellung der Gehfähigkeit, die soziale Reintegration sowie der Erhalt von Lebensqualität und Selbstständigkeit. [3]
Therapieoptionen beim DFS
Basismassnahme bei der Behandlung aller diabetischen Fussläsionen ist eine Optimierung der Blutzuckerwerte (Normoglykämie). [2] Weitere Therapien konzentrieren sich auf
- die Verbesserung der zentralen Hämodynamik (Behandlung der Herzinsuffizienz oder Ventilationsstörung, Blutdruckregulierung)
- die Verbesserung der Hämorheologie und Vasodynamik (Blutfluss-/-fliessbedingungen)
- die Bekämpfung der Infektion
- gefäss- und knochenchirurgische Interventionen
Lokaltherapie / Wundbehandlung
- Die Lokaltherapie orientiert sich an den Phasen der Wundbehandlung und ist nur im Zusammenhang mit den oben aufgeführten Behandlungsregimen zu sehen
- Bei Ulzera neuropathischer Genese bzw. bei neuroischämischen Mischformen ist für die gesamte Heilungsdauer eine komplette Druckentlastung des betroffenen Fusses erforderlich
- Jede noch so kurzfristige Belastung ist zu vermeiden, da sie zu irreversiblen Zellschädigungen führt. Zeigt die Wunde trotz ausreichender Durchblutung, sachgerechter lokaler Wundtherapie und ggf. systemischer Antibiotikatherapie keine Heilungstendenz, ist nicht selten eine unzureichende Druckentlastung die Ursache für die Stagnation
- Bei Ulzera isolierter peripherer Durchblutungsstörungen kann eine Beintieflagerung sowie das Warmhalten der Extremität durch einen Watteschuh die lokale Durchblutungssituation stimulieren
Phase I: Wundreinigung und -sanierung
Das gründliche chirurgische Débridement wird in der Regel der schnellste und sicherste Weg zur Infektionseindämmung und Sanierung der Wunde sein. Nekrosen und schmierige Beläge müssen entfernt werden. Taschen und Eiterhöhlen sind grosszügig zu eröffnen. Ein ungestörter Sekretabfluss wird mit Drainagen gewährleistet.
Unterstützend werden Massnahmen der physikalischen Wundreinigung angewandt:
- Ggf. antiseptische Verbände / Tamponaden mit einem breit wirkenden Antiseptikum (z. B. Lavasept)
- Wundspülungen mit physiologischer Elektrolytlösung (z. B. HydroClean Solution)
- Feuchte Wundbehandlung (bis auf wenige Ausnahmen Mittel der Wahl) mit hydroaktiven Wundauflagen (z. B. HydroClean, Sorbalgon)
- Gutes Exsudatmanagement zur Sekretableitung und Schonung der Wundränder (z. B. Zetuvit Plus, Zetuvit Plus Silicone)
- Keine Salben auf der Wunde, keine Keratolytika oder lokale Antibiotika; (semi-) okklusive Verbandsysteme gelten insbes. bei klinisch manifesten Infektionen als kontraindiziert
Phase II: Aufbau von Granulationsgewebe und Wundkonditionierung
- Zur Förderung der Granulation, vor allem aber um ein heilungshemmendes Austrocknen der Wunde zu vermeiden, wird die feuchte Wundbehandlung fortgesetzt
- Bei guter Granulationsentwicklung können Wundspülungen und Antiseptika abgesetzt und Verbandwechsel reduziert werden
- Bei sauberer Granulation können jetzt semiokklusive Wundauflagen (z. B. HydroTac, HydroTac transparent, Hydrocoll) eingesetzt werden
- Bei schmieriger, schlaffer oder stagnierender Granulation sind die bisherigen Behandlungsmassnahmen zu überprüfen
- Mögliche Ursachen für mangelnden Granulationsaufbau können z. B. Ischämien im Wundgebiet, schädliche Druckbelastung oder eine unzureichende Wundreinigung sein
Phase III: (Re-) Epithelisierung
- Auch das sich bildende Epithel ist durch feuchte Wundbehandlung permanent feucht zu halten, um Zellteilung und Zellwanderung zu fördern
- Um das empfindliche Epithel beim Verbandwechsel vor Traumatisierungen und „Zellstripping“ zu schützen, sind in dieser Phase ausschliesslich nicht verklebende, atraumatische Wundauflagen einzusetzen (z. B. HydroTac, HydroTac transparent, Hydrocoll, Atrauman Silicone)
Patientenedukation beim DFS
Obwohl die Mitarbeit und Kooperation des Patienten für den Heilungserfolg generell von Bedeutung ist, nehmen „Compliance“ oder „Adhärenz“ des Patienten beim DFS eine Schlüsselrolle ein. Dies gilt dabei nicht nur für die meist sehr langwierige Behandlung selbst, sondern insbesondere auch für Rehabilitation und Prävention.
Eine intensive Schulung des Patienten bzw. eines Angehörigen ist erforderlich, um seine Eigenverantwortung zu fördern und ihm vor allem zu einem „neuen Fussbewusstsein“ zu verhelfen. Da viele Patienten nicht mehr über die wichtige Schmerzwahrnehmung verfügen, muss diese durch eine disziplinierte Selbstkontrolle ersetzt werden.
Literatur:
- Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Herausgegeben von A. Neu und M.Keller im Auftrag der DDG, S1, Oktober 2020, Seite S1-S272, 15. Jahrgang, www.diabetesschweiz.ch, www.ksw.ch
- J. Tautenhahn, Diabetische Ulzerationen, HARTMANN WundForum 4/1998
- G. Rümenapf, J. Dentz, W. Schierling, K. Amendt, S. Morbach, Das Diabetische Fusssyndrom aus der Sicht eines interdisziplinären Gefässzentrums, HARTMANN WundForum 2/2011
Weiterführende Informationen sowie Gratismuster finden Sie unter den folgenden Links:
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